Ende Januar haben
sechs große europäische Tageszeitungen, nämlich El País
(Madrid), The Guardian (London), Gazeta Wyborcza (Warschau), La Stampa (Turin), Le Monde (Paris) und die Süddeutschen Zeitung
(München), gemeinsam weit verbreitete Klischees und Vorurteile untersucht, die sich Europäer
gegenseitig zuordnen.
Man hat die Ergebnisse
miteinander geteilt und in einer Beilage veröffentlicht, die in den beteiligten
Tageszeitungen erschien.
Hier ist der Artikel von Rainer Erlinger von der Süddeutschen Zeitung auf Deutsch, morgen poste ich ihn in seiner englischen Übersetzung, wie er im Guardian erschien:
Die Deutschen:
Reine Liege machen
Ja, sie stimmen
alle. Alle Klischees sind richtig. Sogar das mit den Handtüchern, mit denen die
Deutschen frühmorgens die Liegen am Pool besetzen. Zumindest hat mir das ein
weit gereister Freund bestätigt, und er bestätigte auch, dass es ausschließlich
die Deutschen seien, die es machen. Allerdings widerlegte er das Klischee
teilweise gleich wieder. Nicht nur, weil er selbst als Deutscher, wie er
versi-cherte, das nie tun würde. Sondern weil er mit zwei Engländerinnen, die er
am Abend vorher beim Trinken in der Hotelbar - so viel zu weiteren Klischees -
kennengelernt hatte, am nächsten Morgen am menschenleeren Hotelpool eigenhändig
alle Handtücher von den Liegen warf.
Allerdings nährt
er mit dieser Aktion gleich das nächste Klischee: Fleiß, Effizienz und
Disziplin. Die meisten Urlauber aus anderen Ländern beklagen sich über den
Missstand, er schritt zur Tat und machte mit wenigen Handgriffen reine Liege.
Womit klar wäre, dass er nicht aus Berlin kommt. Nicht weil er handgreiflich
wurde, das gibt es in Berlin durchaus. Sondern wegen Fleiß, Effizienz und
Disziplin.
Vielleicht sind
das wirklich typisch deutsche Eigenschaften, nur dass sie typisch für die
Hauptstadt wären, habe ich noch nirgendwo gehört. Höchstens in Berlin.
Ansonsten hält man in den anderen Teilen der Republik Berlin eher für das
Südamerika des Landes. Nicht wegen des Wetters, sondern wegen des entspannten
Verhältnisses zu Terminen und Fertigstellungen. Obwohl es nicht wirklich
entspannt ist, sondern alle sich darüber aufregen - das ist schon wieder eher
typisch für Berlin -, aber effizient ist nicht das richtige Wort für Berlin.
Siehe die Berliner Baustellen. So sind für gut zwei Kilometer neue
Straßenbahngleise - um den Hauptbahnhof Jahre nach seiner Fertigstellung
anzubinden - drei Jahre Bauzeit veranschlagt. Verzögerungen nicht eingerechnet.
"Vielleicht
sind die Chinesen die Deutschen des 21. Jahrhunderts"
In der Zeit
werden in China komplette Städte oder Hochgeschwindig-keitstrassen gebaut.
Vielleicht sind die Chinesen die Deutschen des 21. Jahrhunderts. Oder die
Berliner keine typischen Deutschen. Was es über ein Land aussagt, wenn die
Hauptstadt untypisch ist, bliebe zu ergründen.
Beim dritten
Klischee wird es schwierig: Die Deutschen seien steif und humorlos. Sicherlich
ist Frau Merkel steifer als Herr Berlusconi, bei Herrn Monti könnte es
umgekehrt sein. Und dass Herr Wulff steifer ist als die Queen werden die
wenigsten behaupten. Was vielleicht ein Problem darstellt, weil Herr Wulff
etlichen hierzulande zu wenig steif war im Umgang mit Freunden und deren
Wohltaten. Und zu steif, was Offenheit angeht. Obwohl steife Lippen, zumindest
Oberlippen, ja sonst den Engländern nachgesagt werden.
Hier kommt
womöglich die Humorlosigkeit der Deutschen zu tragen: Anscheinend versteht man
keinen Spaß, wenn es um Politiker geht. Zumindest außerhalb von Satiresendungen
und Karnevalssitzungen - vielleicht haben die Deutschen doch Humor, er muss nur
im Terminka-lender eingetragen sein. Über das, was Herrn Wulff vorgeworfen wird,
würde man in anderen Ländern wohl lauthals lachen. Da fällt einem wieder Herr
Berlusconi ein. Das darf man hier schreiben, schließlich geht es um Klischees.
Und die, die man den Deutschen nachsagt, stimmen eben alle. Auf jeden Fall ist
man bei ihrer Einhaltung diszipliniert, fleißig und effizient.
Rainer
Erlinger (Süddeutsche Zeitung)
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